
Das Stück „G´wissenswurm“ von Ludwig Anzengruber wurde vom Saarländischen Volkstheater in der ehemaligen Kettenfabrik aufgeführt. In den Hauptrollen spielen Markus Müller (sitzend) den Grillhofer, einen reichen Bauer, und Dieter Meier den Nikodemi Dusterer, seinen Schwager (hinten). Rechts: Martin Sieren mit der Quetschkommode im Messdienergewand als Musikus. Foto: Iris Maria Maurer
Saarbrücken Einen ganzen Abend mal unbeschwert lachen und kichern, wann haben wir das zuletzt gekonnt? Die Mundart-Volkstheatertruppe rund um den Tiroler Schauspieler und Regisseur Martin Leutgeb macht‘s mit dem „G’wissenswurm“ in der ehemaligen Kettenfabrik in St. Arnual möglich.
Von Silvia Buss Es war wie ein Wiedersehen mit lieb gewonnen alten Freunden, als man am Samstag in der St. Arnualer Kettenfabrik auf den Zuschauerstühlen Platz nahm. Die Bühne schien der gleiche lange Steg zu sein, an dessen Seiten man schon vor acht Jahren bei „Frau Suitner“, der ersten Premiere der Mundart-Volkstheatertruppe rund um den Tiroler Schauspieler und Regisseur Martin Leutgeb gesessen hatte. Wieder wirkten die Schauspieler und Schauspielerinnen – nicht komplett dieselben wie damals – vom Erscheinungstypus her wie perfekt gecastet, diesmal für den „G’wissenswurm“, eine Bauernkomödie des Österreichers Ludwig Anzengruber von 1874. Dieser „Wurm“, der innerlich am reichen Bauer Grillhofer (Michael Müller) nagt, weil der einst mit einer Magd im Heu landete, die danach schwanger den Hof verließ, wird von seinem Schwager Dusterer (Dieter Meier) von außen nach Kräften gepäppelt. Nur wenn der kinderlose, inzwischen verwitwete Bauer sich bußfertig vom Besitz befreit und dem Schwager überschreibt, so suggeriert ihm dieser, könne die Magd aus der Vorhölle erlöst werden und auch er selbst sich vom Herrn in Ruh’ heimholen lassen.
Für Müller, bekannt auch vom Korso-op.Kollektiv, und Meier, den Grandseigneur des Dudweiler Stadttheaters, der auch die Übertragung in saarländische Mundart besorgte, bietet „Der G’wissenswurm“ zwei Paraderollen, wie sie idealer nicht sein könnten. Zwischen riesigem bedrohlichen Holzkreuz an einem und Ohrensessel am anderen Ende des Bühnenlaufstegs (gelungenes Bühnenbild: Philipp Sonnemann und Team) liefern sie sich einen köstlichen Zweikampf. Der schmale Meier, im schwarzen Anzug mit schwarzem Strickkäppchen und weißen Hemdkragen, den man fast für ein Bäffchen halten könnte, gibt hier einen köstlichen Tartuffe und ist in Gestik und Mimik so wendig und sardonisch wie ein Mephisto. Auch Müller zeigt molièresches Format. Der Neunkircher, der sich als Bauer im weißen langen Schlafhemd in seinem Sessel fläzt, spielt die Wirkung seiner Leibesfülle voll aus. Mit groß aufgerissenen Augen und halboffenem Mund kann er mal unschuldig wie ein Baby, mal begriffsstutzig oder auch herrlich weh- und selbstmitleidig erscheinen. Doch die übrigen acht Komödianten lassen sich von den beiden Platzhirschen keineswegs an die Wand spielen. Sie sind, inklusive Martin Sieren mit der Quetschkommode im Messdienergewand als Musikus, allesamt starke Typen. Und Martin Leutgeb, dessen Frosch-Gastauftritt in der Fledermaus auf der Staatstheaterbühne unvergesslich ist, weiß, wie man aus jeder kleinsten Rolle noch ein Kabinettstücken herauskitzeln kann. In der Kettenfabrik inszeniert er feinstes Schauspielertheater, bei dem jede Rolle bis in die Fingerspitzen sitzt.
Gerade mit den Frauenfiguren meint es Leutgeb besser als der selige Anzensgruber. So ist Nadine Fleckinger als Horlachersch Liesje, als unverhofft auftretende Verwandte mit Erbansprüchen nicht nur fesch, aufrichtig und mit jugendlich strahlendem Charme gesegnet, sondern auch für Anzensgrubers Epoche unglaublich selbstbewusst. Selbst Rosi (Heike Sutor), die loyale und wie es sich ziemt unauffällige Magd des Bauern Grillhofer, ist hier nicht zu übersehen. Die Poltner Bäuerin schließlich, die nach der Pause, im dritten Akt, wo die Komödie so richtig Fahrt aufnimmt, ihren kurze Auftritt hat, hat der österreichische Dramatiker damals garantiert nicht so, wie man sie bei Leutgeb erlebt, imaginiert. Eine der beiden Pointen des Stücks ist, dass sich die einstige verführte Magd nicht als ein Opfer entpuppt, sondern im Gegenteil, als eine Aufsteigerin und furchteinflößend.
Melitta Bach zeigt diejenige, wegen der Grillhofer sich grämte, zwar als eine Frau wie ein Baum, eine, die buchstäblich die Hosen anhat, jedoch nicht als Lachnummer, was wiederum ihr Mann (Markus Limberger) und die Buben (Marcel Schmitz und Max) Schwartz nach Herzenslust ausspielen dürfen. Ganz ähnlich wie Markus Wanz, der sich als betrunkener, sich verplappender Fuhrknecht einprägt. Nicht zu vergessen Frank Müller in der durchgehenden Rolle des etwas poltrigen und eigensinnigen, aber guten Knechts Schorsch, den man hier fast für einen Grillhofer-Sohn halten könnte und der für das perfekte Happy End nötig ist.
Einen ganzen Abend mal unbeschwert lachen und kichern, wann haben wir das zuletzt gekonnt? Und das geht noch nicht mal in erster Linie auf die „Kapp“ jenes Anzengrubers, dessen beliebteste Komödie dieser Gewissenswurm war, sondern liegt vielmehr an der Spielfreude dieses starken Ensembles, das man kaum für ein Amateurtheater halten mag. Mindestens ebenso sehr trug die wunderbare Adaption in saarländischer Mundart dazu bei. Die Truppe ließ nicht nur die ganze dialektale Vielfalt von Saarbrücken bis Berus authentisch hören, sondern auch längst vergessene Schimpfwörter und sonstige Ausdrücke, mit der sie einander blitzschnelle Schlagabtausche lieferten. Verdienter Applaus!
Weitere Vorstellungen: 22., 23., 24., 29., 30. April, 1., 6., 7., 8. Mai; Laut Veranstalter gibt es dafür nur noch Restkarten. http://volkstheater-kettenfabrik.de/
Hinweis: Die Veranstaltungen vom 29. April bis 01. Mai müssen auf Grund eines Krankheitsfalls im Ensemble leider abgesagt werden.